Alle Veranstalter haben mit den Unwägbarkeiten der Pandemie zu kämpfen - und mit überraschenden und widersprüchlichen Regelungen dazu. Ein Beispiel dafür ist ein geplantes Konzert im Theater am Aegi in Hannover.
Ein Artikel von Stefan Arndt - Hannoversche Allgemeine Zeitung
Wäre die Pandemie nicht gekommen, hätte der Jazzpianist Joja Wendt am 4. November 2020 ein Konzert im Theater am Aegi gespielt. Dort ist er seit vielen Jahren regelmäßig zu Gast und hat ein treues Publikum. Entsprechend gut waren die Tickets für den Auftritt bereits verkauft, als Corona im Frühjahr auch in Deutschland zum beherrschenden Thema wurde. Im April beschloss man, das Konzert auf das folgende Jahr zu verlegen. Festgesetzt wurde damals der 19. September 2021 – der Sonntag der kommenden Woche. Dieses Konzert muss nun kurzfristig wieder verschoben werden. Doch diesmal sind die Gründe dafür viel komplexer als vor einem Jahr, als ein noch weitgehend unbekanntes bedrohliches Virus Argument genug war. Es geht inzwischen weniger um das Virus selbst als um den Umgang damit. Die Vorschriften und Verordnungen, die dabei eigentlich für Klarheit sorgen sollen, erscheinen derzeit ähnlich unberechenbar wie der künftige Pandemieverlauf. Für viele Künstler und Veranstalter in Niedersachsen ist das ein doppeltes Problem.
Aussicht auf Lockerungen
Jürgen Hoffmann ist Geschäftsführer des Theaters am Aegi und organisiert auch das Joja-Wendt-Konzert in Hannover. Seit Monaten ist er mit dem Künstler und dessen Team in Kontakt, um zu überlegen, ob der Auftritt in der kommenden Woche haltbar ist und wie er umgesetzt werden könnte. Wendt selbst wollte alles möglich machen, um das Konzert jetzt zu spielen. Unter anderem hatte er angeboten, zwei- oder dreimal an einem Tag aufzutreten, wie es die Klassikbranche im Sommer vorgemacht hat. Hoffmann aber blieb skeptisch, weil er zu viele organisatorische Hürden dabei sah. Umso gespannter waren alle Beteiligten auf die neue Corona-Verordnung des Landes, mit der Lockerungen in Aussicht gestellt waren.
Unerwartete Verschärfung
Doch die Veröffentlichung am 25. August war eine Enttäuschung: Für die Veranstaltungsbranche gab es darin keine Erleichterungen. Anders als etwa in Nordrhein-Westfalen, wo die Abstandsgebote in Kino-, Konzert- und Theatersälen unter bestimmten Bedingungen aufgehoben waren, blieb man in Niedersachsen beim strengen Kurs. Die neue Regelung brachte sogar eine unerwartete Verschärfung mit sich: Der Abstand bei einer Saalbelegung im Schachbrettmuster sollte nun 1,5 Meter betragen – eine mögliche Reduzierung auf einen Meter, die in der alten Verordnung enthalten war, fehlte in der neuen Version. Ein Versehen? Das Land verwies bei zahlreichen Nachfragen dazu auf den Empfehlungscharakter der Abstandsregelung: Selbstverständlich, so hörten es die gleichermaßen erstaunten wie beruhigten Veranstalter, sei auch jetzt die Reduzierung auf einen Meter ausreichend. Die Verordnung hat hier offenbar den Charakter eines Orakels, das erst ausgelegt werden muss.
Wo steht das bloß?
Für Jürgen Hoffmann ist die Schachbrettbelegung allerdings keine Option: Im Aegi stehen die Sitze so eng, dass der Saal auch mit dem verringerten Abstand nur zu einem Drittel gefüllt werden kann. Ein Betrieb ist so nicht wirtschaftlich möglich. Darum erkundigte er sich bei der zuständigen Stelle nur, ob die Verordnung wirklich noch ein Abstandsgebot enthalte. Als das bestätigt wurde, schrieb er eine Nachricht an die Agentur von Joja Wendt mit der Empfehlung, das Konzert noch einmal zu verschieben. Doch die zögerte mit einer Antwort – zu gerne würde der Künstler im Aegi auftreten.
Am folgenden Sonnabend las Hoffmann zu seiner Überraschung in der Zeitung, dass das Land nun doch ab sofort Veranstaltungen in vollen Sälen zulassen würde. Abstände seien unter bestimmten Bedingungen gar nicht mehr nötig. Das Land hatte offenbar auf die zahlreichen Nachfragen reagiert, die Verordnung korrigiert und sogar die erhofften Freiheiten eingeräumt. Hoffmann durchsuchte das komplizierte Regelwerk nach der entsprechenden Passage, wurde aber nicht fündig. Erst an diesem Montag fand er schließlich die Ergänzung zu vollen Sälen – in einem Anhang zur Verordnung unter der Rubrik „Häufig gestellte Fragen“.
Dürfen die Besucher lachen?
Die Zweifel sind damit aber nicht ausgeräumt: „Der Hinweis im Fragenkatalog scheint mir der Verordnung zu widersprechen“, sagt Hoffmann: „Das kann ja eigentlich nicht sein.“ Und doch überlegt er, ob sich die vermeintliche neue Freiheit noch auf das Konzert von Wendt anwenden ließe. Die Saalbelegung war dabei nicht mehr das Problem: Die rund 900 Ticketkäufer könnten tatsächlich auf den Plätzen sitzen, die sie wirklich gekauft haben. Doch wie muss der Einlass geregelt sein? Ist eine Kontaktverfolgung mit den Personalien aller Besucher erforderlich? Und wenn Buh-Rufe laut Landesvorgabe verboten sind – dürfen die Besucher laut lachen? Während sich der Aegi-Geschäftsführer noch den Kopf über diese und viele weitere Fragen zerbrach, kam am Mittwoch die Antwort von Joja Wendt: Das Konzert wird wegen der komplizierten Bedingungen nun tatsächlich verschoben. Neuer Termin ist der 13. Oktober 2022. In Nordrhein-Westfalen tritt der Pianist derweil wie geplant noch in diesem Monat auf. Dort hat man offenkundig schneller Klarheit geschaffen.